4. November 2008

REPORT 12 * U 23 WM Kaohsiung/Taiwan * Deutschland - Russland 7:21 !!

Der Traum von Bronze ist ausgeträumt. Das mit viel Spannung erwartete Spiel gegen Russland endete mit einer in dieser Höhe nie erwarteten Niederlage. Deutschland kassierte 21 Körbe und warf nur magere 7!! In der uns bekannten Schreibweise lautet dies 7:21. Wann hatten wir, ausser gegen die Niederlande oder Belgien schon bei den letzten internationalen Events so hoch verloren? Die Enttäuschung der Mannschaft war groß, viele Kommentare nach Spielende gab es nicht. Natürlich ist das Turnier noch nicht vorbei. Morgen wartet Tschechien auf uns. Es liegt noch viel Arbeit vor uns in den nächsten 20 Stunden. Wir müssen die Mannschaft aufbauen. Aber was war eigentlich heute abend passiert?
Deutschland geht in Führung. 1:0 durch Lennart Schwirtz, genau wie vor 2 Jahren in Portugal, die ersten Träume einer Parallele werden sichtbar. Postwendend gleicht Russland aus. 2:1 durch Henning Schmidt, die Russen gleichen wieder aus. Linda Schiller erhöht auf 3:2, wieder gleichen die Russen aus. Es scheint ein interessantes Spiel zu werden, bis hierher ist es ein offener Schlagabtausch, aber nach 10 Minuten sage ich in mein Diktiergerät: “Deutschland lässt sich den Schneid abkaufen und überlässt Russland die Inititative.” Tatsächlich geht Russland nach 12 Minuten zum ersten Mal in Führung, 3:4. Ab jetzt laufen wir hinterher. Der Druck der deutschen Werfer lässt nach, Fehlwürfe häufen sich. Russland beginnt, den Ball sicherer zu führen. Dazu kommen auf deutscher Seite mehr und mehr Abspielfehler. Beim Stand von 3:4 gegen Deutschland verwerfen wir einen Strafwurf aus 2,50 m. Schlimm in dieser Phase! Vor der Pause verwirft Russland noch einen 2,50m Strafwurf. Bei einem Erfolg hätte das schon ein psycholgisches K.O. für Deutschland sein können. Zur Pause bleibt es beim 3:6 für Russland.
Noch ist Hoffnung in Sicht, was sind schon drei Körbe Differenz? In der Pause muss es eine gehörige Ansprache durch die deutschen Übungsleiter gegeben haben. Deutschland erhöhte tastsächlich den Druck, aber nicht wirkungsvoll genug. Es wurde nicht besser. Russland erhöht auf 3:7, Heike Büsing verkürzt zwar noch einmal zum 4:7, aber dann folgen bittere Minuten für das deutsche Team: Russland wirft 5 Körbe hintereinander und geht mit 4:12 in Führung.
Bis zu diesem Zeitpunkt glaubte man als Beobachter noch an eine Wendung, aber nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Spielweise liess uns nicht positiver denken. Die Russen schienen von Minute zu Minute immer ballsicherer zu werden, den deutschen Korbschützen gelang wenig. Die Würfe kamen zwar zum Korb, aber verfehlten das Ziel immer häufiger. Langsam schien man erkannt zu haben, dass sich das zuvor gesteckte Ziel der Bronzemedaille immer mehr vom deutschen Lager entfernte. Bremste diese Erkenntnis noch die deutsche Spielweise?
Das Spiel “Mann gegen Mann”, in den ersten Spielminuten ausgeglichen, ergab im Laufe der 2. Halbzeit deutliche Vorteile für Russland. Immer häufigere Abspielfehler auf deutscher Seite verhalfen Russland zum Ballbesitz, der häufiger zum Korberfolg führte, als auf deutscher Seite.
Vielleicht ist das schon die Erklärung: wer öfter in Ballbesitz ist, hat mehr Möglichkeiten. Deutschland hat mehr damit zu tun, russische Angriffe zu verteidigen, als einen druckvollen Angriff aufzubauen. Deutschland gelingen keine Korberfolge aufgrund zu geringer Wurfintensität.
Die Treffer zum 5:12 u 6:12 durch Lennart Schwirtz und Martin Schwarze sind nur Schönheitskorrekturen. Leider gelingt keine Wende zum Positiven. Es sind nur noch 12 Minuten zu spielen. Russland versenkt 8 Körbe in Folge, Weitwürfe gelingen problemlos, aber auch Durchlaufbälle verfangen sich im deutschen Korb. Jetzt muss man schon von Debakel sprechen. Der englische Pressevertreter auf der Pressebank schaut mich an und schüttelt den Kopf.
Kommentar
der deutschen Trainer Harold Kuklinski und Henning Eberhardt in Form eines Kurzkommentars 2 Stunden nach Spielende im Hotel: "Bis auf die Anfangsminuten haben wir nie richtig ins Angriffsspiel gefunden. Auch die zu Beginn gute Verteidigung gab keine Sicherheit. Das Vertrauen in das eigentliche eigene Können versiegte immer mehr." Henning Eberhardt weiter: " Das Team hat gerade in der spontan anberaumten Teamsitzung bekundet, dieses Ergebnis verarbeiten zu können. “Wir werden weiter professionell an diese neue Aufgabe gehen. Jetzt ist das Ziel der 5. Platz!"
Mein Kommentar: Dies ist immer noch ein großartirger Erfolg bei einer Weltmeisterschaft.
Diese Folgerungen sind jetzt möglich: Russland hat 8 Punkte und wird morgen gegen Südafrika nicht verlieren. Damit kann Russland Gruppenzweiter werden. Tschechien hat 7 Punkte und spielt morgen gegen Deutschland. Bei einem Sieg Tschechiens ist Tschechien Gruppendritter. Deutschland hat 6 Punkte und muss morgen gegen Tschechien gewinnen, um gegen den Gruppenvierten des Pools B in das Spiel um Platz 5 und 6 kommen zu können.
Das sind auf einmal schwierige Konsterlationen. Das Spiel gegen Tschechien hat damit an Brisanz gewonnen, aber welches Spiel eines Turniers ist eigentlich nicht wichtig? Die Mannschaft hat das Potential, es ist nur eine Frage der Motivation und des psychologischen Aufbaus, um dieses Potential morgen abrufen zu können.
Das Spiel gegen Tschechien findet am Mittwoch, 5.Nov. um 17:45 Taiwanzeit statt ( 10:45 MEZ ). Jetzt heisst es: "wir schaffen das!!". Ich glaube daran.
Direkt aus Kaohsiung * Taiwan
Jochen Schittkowski
Bilder: oben links: Martin Schwarze, rechts: Henning Schmidt, unten: Heike Büsing, Henning Schmidt