3. November 2015

WM-REPORT 4 * 1. Nov. 2015 – der Tag, an dem wir CZE schlugen

Eindruck von heute morgen:
Die Sonne scheint in Antwerpen, wie bereits in den letzten Tagen. 8 Grad. Der Blick aus der 4. Etage des TRYP-Hotel ist herbstlich-freundlich, die letzten Blätter auf den Bäumen gelblich-rötlich, leichter Morgendunst. Auf der Strasse beginnt der Chaos-Verkehr von Antwerpen, auf unserem Flur ist es still. Die Nacht war lang. Im Foyer, dem Treffpunkt des Teams wurde es Mitternacht. Heute spätes Frühstück. Das Team hatte es sich verdient….
„Today is the day, where we beat Czech!“ Diesen Satz haben wir gestern gefühlt einhundert Mal gehört. Morgens beim Frühstück, in der ersten Ansprache und dann immer wieder bei allen Gelegenheiten. Das Team war gut vorbereitet und eingestellt.
Ich habe diesen Report erst wieder am Montagabend aufnehmen können. Gestern nach dem Spiel war die Atmosphäre wie aufgeladen. Das ist im positiven Sinne gemeint. Heute hatten wir unseren „freien“ Tag, der allerdings kaum „frei“ war. Das Team hat ihn sicher genossen. Nach leichtem Erholungstraining am Morgen bei frischer Luft auf dem Marktplatz am Hotel einige Übungen zu absolvieren, dann auf dem Platz zu Mittag zu essen, um später zur Sightseeingtour mit unserem Guide Joke durch Antwerpen geführt zu werden, hatte sicher etwas Erholsames. Auch das Team um das Team brauchte mal eine Pause. Erst nach dem Abendessen wieder im Hotel zurück, kurze Besprechung über das Tagesprogramm von morgen, kleine Jury-Sitzung und jetzt kann endlich der Bericht von gestern fortgeführt werden.
Das ist schwierig genug. Mittlerweile ist das Thema „Sieg über Tschechien“ ja in aller Munde, in der Presse erschienen, auf „youtube“ verfügbar, auf korfballtv.com einsehbar und in den Medien im kleinsten Detail analysiert.
Fokussiere ich also hier auf das Wesentliche:
Im Vorfeld hatte niemand mit einem 2. Gruppenplatz für Deutschland gerechnet. Man hörte Stimmen die mit unserer Niederlage gegen Tschechien rechneten. Wenn man die Ergebnisse der letzten WM, EM oder der World Games anschaut, waren wir nach der Papierform auch nicht gerade das Team, „das ganz oben“ mitspielen sollte. Aber unser Team hat sich verändert. Die Trainingsarbeit, auch oder gerade die veränderte Trainingsarbeit der letzten anderthalb Jahre trägt jetzt Früchte. Damit muss aber jetzt auch schon Schluss sein mit einer Analyse, denn das Turnier ist nicht einmal zur Hälfte gespielt. Dennoch muss dies zu sagen sein:
Unsere Trainer haben das Team hervorragend eingestellt und motiviert. „This is the day, where we beat Czech.“ Beim Frühstück, im Hotel, bei der Analyse, in der Kabine etwas lauter und eindringlicher, auf dem Platz geschrien.
Die Tschechen begannen druckvoll, wie wir es nicht erwartet hatten. „Pressure“ schon in der eigenen Hälfte, oft war es schwierig, den Ball über die Mittellinie zu spielen. Die Verteidigung war hart, bis an die Grenze, manchmal darüber hinaus. Um es vorweg zu nehmen: Mit der Schiedsrichterleistung konnten wir heute nicht zufrieden sein. Der Unparteiische Wing Hung Lee (HongKong) hätte etwas mehr gegen die Härte unseres Gegners tun müssen.
Karen Fuchs markierte nach 30 Sekunden unsere Führung. Wir jubelten, als ob nur noch 30 Sekunden zu spielen wäre. Der Beginn war ausgeglichen. Ab dem 3:3 gingen die Tschechen in Front, führten dann bis zur Pause. Dort stand es 8:6 gegen uns.
Wir merkten schnell, dass es ein hartes Spiel werden würde, wir merkten, dass Tschechien einen unbändigen Willen hatte, zu gewinnen. Das hat zwar eigentlich jedes Team, wenn es spielt, aber in den Gesichtern unseres Gegners war eine Härte „sichtbar“, die etwas bedrohlich wirkte.
Unsere Kabine hätte für die Halbzeitbesprechung nur 10 % ihrer eigentlichen Fläche groß sein müssen. Das Team rückte zusammen. „This is the day, where we beat Czech!“ Wieder und wieder. Es wurde die Weisung ausgegeben, dass…“wir da jetzt rausgehen, aber nicht aussehen, wie eine Mannschaft, die zwei zurückliegt, sondern wie ein Team, das gewinnen will…“.
Capitän Sven Müller, Foto: Marco Spelten
Und unser Team spielte so auf. Dominc Düring, Sven Müller, Carolin Rudolph und Karen Fuchs (erster Angriff) und
Timon Orth, Stefan Eckloff, Jana Kierdorf und Anna Schulte (erste Verteidungung)
Um Sven Müller eine kurze Erholung zu gönnen, kam für ihn in Minute 14 Steffen Heppekausen auf das Feld. Nach 4 Minuten gab es diesen Wechsel erneut in umgekehrter Reihenfolge.
Danach wurde nicht mehr gewechselt. Wir glichen aus zum 8:8 und nach erneuter Tschechen-Führung zum 10:10. Man merkte: da geht was. Die Führung, die wir in Minute 7 abgaben, holten wir in Minute 32 zurück. Zum ersten Mal gingen wir wieder in Front. Auch das beflügelt. Aber noch mehr: wir gaben sie nicht wieder her. Wir „akzeptierten“ zwar viele Unentschieden zum 11:11, 13:13, 17:17. Aber ab diesem Zeitpunkt, es waren nur noch 5 Minuten zu spielen, gaben wir sie nicht mehr her. Ob unser Gegner dabei etwas nervöser wurde, weil er einen sicher geglaubten Sieg dahinschwinden sah, oder ob unser Team eben die noch bessere Einstellung hatte, bleibt unbeantwortet. Den stärken Siegeswillen hatten wir sicher. Ab diesem Zeitpunkt tobte die Halle, die beiden Reporter, die für korfballtv genau hinter unserer Bank kommentierten, überschlugen sich mit ihren Kommentaren. Allen voran Tom Brady. Er schrie in Minute 45 – wir hatten gerade 2 Strafwürfe hintereinander nicht versenkt (es sollte so schön „klingeln“, tut es aber jetzt nur in die Mannschaftskasse - ins Mikrofon (bereits ins Deutsche übersetzt) „Deutschland braucht keine Strafwürfe, wir haben Anna Schulte!“. Als Timon Orth dann auf „2 vor“ ausbaute, waren noch vier Minuten zu spielen. Ab diesem Zeitpunkt änderten wir auf der Bank unsere Meinung von „heute geht was“ in „jetzt geht es“.
Tschechien kam auf 19:20 heran, aber Stefan Eckloff und Dominic Düring stellten zum 19:22 wieder den alten Zustand her. Zu diesem Zeitpunkt waren noch 90 Sekunden auf der Uhr zu sehen und uns war klar: „Das war der Sieg über Tschechien.“ Es fielen noch 4 Körbe, aber an der Differenz änderte das nichts mehr. Als Dominc Düring, heute mit 7 Körben bester Schütze, auf den Endstand von 21:24 abschloss, rannte die gesamte deutsche Bank auf Feld, selbst den Kameramann vom WDR hielt es nicht mehr an der Aussenlinie. Leider war aber noch eine Sekunde zu spielen. Die Referees schickten alle Unbeteiligten wieder vom Feld, pfiffen an und wieder ab.
Der Jubel kannte keine Grenzen, alle fielen sich trotz schweißdurchtränkter Trikots in die Arme. Ich habe kleine Freudentränchen gesehen, geballte Fäuste, Arme, die in den Hallenhimmel reckten, skandieren Fans und hüpfende Spieler. Das Team hatte etwas geschafft, dass wir vorher erträumten, aber nie auszusprechen wagten:
Wir sind unter den TOP 8 der Weltmeisterschaft.
Und zwar aufgrund einer absolut geschlossenen Mannschaftsleistung. Die Ansprache von Ruben Boode sofort nach Abpfiff war kurz: „Wir haben heute gut gespielt, sehr gut gekämpft und sind mindestens Achter der WM, aber freut Euch jetzt und heute. Übermorgen geht das Turnier weiter, wir sind noch nicht am Ende. Dies war ein toller Tag.
Es war „the day, where we beat Czech!“
Gute Nacht aus Antwerpen, Hotel TYRP, 01:33. Heute spielen wir gegen England.
Jochen Schittkowski, Team-Manager dt. Korfball-Nationalmannschaft