22. Oktober 2018

EM2018 | das deutsche Team holt Silber ... und mehr

(JS) dieser Report kommt mit einem Tag Verzögerung. Seit dem Anpfiff des Finales gestern um 16.00 Uhr in Heerenveen/NED sind jetzt mehr als 24 Stunden vergangen und trotzdem haben wir noch nicht realisiert, was da gestern mit uns passiert ist. Ja, wir haben das Finale um die Europameisterschaft gegen NED erwartungsgemäss verloren, aber wir schweben immer noch auf Wolken und sind in unserem Märchen... Zwickt uns mal. Neben mir liegt meine Silbermedaille. Nur "Traum" kann das also nicht sein...
Das Finale war um 17:15 Uhr abgepfiffen, aber die Emotionskurve stieg da erst an. Wir hatten das Finale erreicht, als Gruppenerster, als "Belgien-Bezwinger“, als Viertelfinalist-Sieger über Ungarn, als Halbfinalist-Sieger mit einem 20:10 über Portugal und hatten da schon die historische Einmaligkeit erreicht, als erstes deutsches Team "Silber" bei einer EM zu gewinnen. Dass zuvor Portugal im Spiel um Bronze ebenfalls Belgien bezwang und den 2016-Vize auf Platz 4 verdrängte, passte da ebenso ins "Märchen"-Bild, wie die Auswechselung des gesamten Teams im Finale. Jeder sollte in den Genuss kommen, im historischen Finale dabeigewesen zu sein...
Jeder, bis auf eine Person, die bis 40 Sekunden vor Schluss warten musste. Als David Liepold in der Schlussminute, wir waren in Ballbesitz, den Spielball über die gegnerische Grundlinie in hohem Bogen ins Aus warf, wird sich jeder gefragt haben: "warum macht er das?". Wir mussten das Spiel unterbrechen, weil wir noch eine Auswechselung vornehmen mussten.

Sven Müller hat gestern sein letztes internationales Spiel im A-Team absolviert

und wurde mit "stehendem Applaus" vom gesamten Team und den deutschen Fans würdevoll verabschiedet. Das Spiel wurde vom niederländischen TV live übertragen. Wir unterwarfen uns vorher mit einem "Gentlemen-Agreement" strengen Regeln für dieses Procedere, weil TV-Übertrangszeit Geld kostet. Dennoch blieb für den obligatorischen Blumenstrauss auf dem Feld Zeit. Auch das gesamte Team herzte unseren Captain, der überwältigt von soviel Anteilnahme das Feld verliess, und eben Thorben Hussmann, der verletzungsbedingt in den Niederlanden nicht zum Einsatz kommen konnte, den Gang aufs Feld zu ermöglichen, auf dem er (nur) noch 40 Sekunden agieren konnte.
Auf Sven Müller werde ich in einem späteren Report noch zurückkommen.
"Emotion" war das Stichwort der Stunde. Beim Abpfiff glich die deutsche Bank einem Tollhaus. "Silber" war die Losung für grenzenlosen Jubel. Es wurde dem Fanblock (übrigens: warum waren die deutschen Fans in eine Ecke der Hallentribüne "zusammengefercht", als wenn es einen Sicherheitsblock eines Champion-League-Spiels gehen würde?)gedankt, es wurden den Fans gedankt, es gab Schulterklopfen und Umarmungen. Es gab Geschenke für Sven Müller, es gab Geschenke der Fans an das Team. Der IKF-Präsident Jan Fransoo kam direkt zu uns, um zu Historischem zu gratulieren.
Wir hatten die bisherigen Bundestrainer, die seit der "Neuausrichtung“ in 2014 Verantwortung übernommen hatten, zu einem Gruppenbild beladen. So reihten sich auf: Ruben Boode, Vincent van der Sloot (Bundestrainer 2014/2015), Henning Peuters und Jan de Jager (2016/2017) und Wilco van den Bos (zusammen mit Henning Peuters, 2018). Eingerahmt von den Physios Tobias Kehlenbach und Dominik Werthmann, die seit 2008 "an Bord" sind und Jochen Schittkowski, der seit 2014 Manager des A-Teams ist. Wenn unser Erfolg ein gutes Fundament hat, dann war es hier mit diesem Foto dokumentiert. "Badankt" von hier aus.
von links: Ruben Boode, Vincent van der Slot, Jan de Jager, Henning Peuters, Wilco van den Bos, Foto: Jochen Schittkowski

Henning Peuters absolvierte gestern sein letztes Spiel als Bundestrainer.

Beim Warmmachen der Teams vor Anpfiff gab es ein Interviwe mit dem NED-Trainer Wim Scholtmeyer und dem GER-Trainer Wilco van den Bos, zu dem Henning Peuters, hier als Co-Coach, gebeten wurde. Auch hier gab es dankende Worte und einen Blumenstrauss. Auch über Henning Peuters erscheint in Kürze ein Sonder-Report.
Ihr merkt: für Emotionen war gestern breiter Raum.
Die Siegerehrung war dann eher wieder dem Bereich "Märchen" zuzuordnen. Wir marschierten neben Portugal und den Niederlanden in die Halle ein, positionierten uns hinter das Siegerpodest und ließen die Siegerehrung "über uns ergehen". Herrlich, wenn man die Silbermedaille von der IKF-Generalsekrätärin Joana Faria und dem KNKV-Präsidenten Rob Meijer umgehängt bekommt. Jubel, Applaus, Geschrei, Fahnenschwenken und das Eintauchen in goldglitzernden Konfettiregen aus der Konfettikanone folgten dann himmlische Ruhe und ergebene Demut, als parallel zur niederländischen Nationalhymne die drei Siegerfahnen NED, GER und POR gaaaanz langsam an einer Quertraverse hochgezogen wurden und unter dem Hallendach eine Parkposition fanden. Wenn man den Kopf zu Fahne hebt, kann ein Träne schlechter runterfliessen. Stimmt echt.
Team mit Medaillen vor dem deutschen Fanblock, Foto: Gertrude de Vries, Grafik: Jochen Schittkowski
Die Verabschiedungszeremonie von Sven Müller und Hennig Peuters entwickelte sich im Teamtreffen in der Kabine zu einem Emotionsfeuerwerk sondergleichen, als Sven zu jedem der Teammitglieder seine Geschichte erzählte. Henning danke uns gar mit einem Reimvers, der erst nach Minuten zu einem Ende kam. Und ich sage Euch: Diese Stunde in der Kabine war emotional nicht zu toppen...
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Als alle Teilnehmer, Offizielle und Fans schon längst weg waren, der Service baute bereits den Hallenboden ab, war unser Team, ersterns: noch nicht geduscht, weil es, zweitens: noch eine Polonäse zwischen den Bodenrollen quer durch die Halle absolvieren musste. Dadurch kamen wir zu spät zur Players-Party. Machte aber nichts, es gab reichlich vom Buffet zu probieren und das eine oder andere Bierchen schmeckte ebenfalls bestens. Übrigens: In der Korfball-Welt wird unsere Medaille verdammt weit oben gelobt. Endlich würde mal Bewegung in die Medaillenverteilung kommen. Dank einem sehr starken deutschen Team , das Alle "über den Klee" lobten (und dem POR-Sieg über BEL), wäre Korfball in Europa um eine Idee reichhaltiger und spannender geworden.
Heute morgen also, alle waren vollzählich, traten wir die Heimreise an. Mittlerweile sind alle Fahrzeuge wieder in der Heimat. Heute Abend bleibt noch Zeit zum Träumen.
Aber das Schönste ist: die Silbermedaille ist kein Traum, sie liegt immer noch neben mir und ist wahrhaftige Realität.
Ich danke sehr für Eurer Interesse an der Berichterstattung über die EM2018 in Friesland. Schön, dass wir uns "lesen" konnten, ob hier oder auf facebook oder über das Gezwitscher bei dem weissen Vogel auf blauem Grund. Ich hoffe, es war umfänglich und unterhaltsam. Mein Tag begann um 7:30 mit Brötchenholen und endete oft um 1:30 in der Nacht mit der Grafik "MATCHDAY" für den kommenden Tag. Viel Zeit blieb dazwischen nicht, etwas zu schreiben, denn jeder Tag war voller "Action" für das Team. Und das hat viel Spass gemacht. Danke.
Jochen Schittkowski, Teammanager, Castrop-Rauxel