5. November 2015

WM-REPORT 7 * GER im Golden Goal siegreich gegen China

Sie sind die Überraschung dieser WM, sie spielen tollen Korfball, sie haben Portugal, immerhin Gewinner der Bronzemedaille der letztjährigen Europameisterschaft in Portugal aus der Gruppe geworfen, sie werden von einem niederländischen Coach „begleitet“: China hat sich zu einem starken Team entwickelt, dass sich in Belgien unter die TOP 8 gekämpft hat. Gestern spielten wir in Gent gegen sie, um die Plätze 3 und 4 unserer Viertelfinalgruppen.
Es gibt Nationen, die, wenn man sie hört, eher als schwach einzustufen sind. In den letzten Jahren gehörte China dazu. Europäische Teams haben kaum einen Vergleich zu ihrer eigentlichen Leistung. In den bisherigen Gruppenspielen allerdings waren wir nun gut vorbereitet. Die Analysen vor dem Spiel waren eindeutig. „Sie kommen aus einer anderen Kultur, sie kämpfen für ihr Land mit Herz, sie spielen schnell, aber: sie haben auch Schwachstellen“. Die Analyse von Ruben Boode und Vincent van der Slot konnte kaum klarer ausfallen.
„Wir wollen sie an den langen Würfen hindern, sie spielen „inside“ nicht die große Rolle.“ So wollten wir siegen.
Das gelang zu Beginn sehr gut. Die erste Halbzeit war ziemlich ausgeglichen. Die Bank hatte aber immer ein gutes Gefühl. China ging 2:0 in Front, das Spiel entwickelte sich, ehe wir zu Beginn 4 in Folge warfen. Das gab uns ein sicheres Gefühl. Bis zur Halbzeit (14:13 für uns), war die Korbdifferenz immer nur 1, max 2 Körbe.
Anmerkung 1: in dieser Phase hätten wir das Spiel entscheidender prägen müssen. Wir waren dazu in der Lage, nur unsere Treffer saßen nicht so sicher, wie die der Asiaten. Die Chinesen warfen weniger, trafen aber besser. Wir „verschenkten“ eine größere Führung.
Timon Orth, Stefan Eckloff, Foto: Schittkowski
Ina Heinzel, Foto: Schittkowski
. Unsere Startacht gestern:
Erster Angriff: Timon Orth, Stefan Eckloff, Anna Schulte, Jana Kierdorf Erste Verteidigung: Sven Müller, Dominc Düring, Carolin Rudolph, Karen Fuchs
In Halbzeit 2 bauten wir unsere Führung zum 18:15 aus, aber China glich zum 19:19 aus. Schlimmer noch: sie gingen in Front zum 20:23, 23:25. Unser Spiel, zu Beginn flüssig, stark, variantenreich, begann zu „verkrampfen“. Vielleicht oder besser: gerade wegen der chinesischen Führung 9 Minuten vor Schluss. Wie so oft: wir führen, gestern in einem Spiel auf Augenhöhe, aber „gefühlt sicher“ und dann geht der Gegner zum Ende des Spiels in Führung. Unsere Trainer versuchten, mit verschiedenen Wechseln zu unterstützen, um die „power“ auf die Chinesen zu erhöhen. Ina Heinzel ersetzte Carolin Rudolph, Sven Müller (zuvor gewechselt mit Steffen Heppekausen), kam zurück ins Spiel für Dominic Düring. Nach kurzer Verschnaufpause ging Dominic wieder ins Spiel und ersetzte Timon Orth. Anna Orth ersetzte Jana Kierdorf.
Die neue Wechselregel (8 Auswechselungen während des Spiels, auch einmal herausgenommene Spieler dürfen zurückkommen) entwickelt sich, nicht erst seit dieser WM, zu einem neuen „Impuls-Instrument“, taktischer und physiologischer Art.
Wir liefen ab Minute 30 (19:20 für China) der Führung hinterher. Erst fünf Minuten vor Schluss glichen wir wieder aus. Lagen wieder zurück, ehe Sven Müller 120 Sekunden vor Schluss der erneute Ausgleich gelang. Ein Nervenspiel.
Deutschland nahm eine Auszeit. Jetzt war dies zu einem psychologischen Krimi geworden. Der nächste Treffer konnte entscheidend sein. Es fiel aber keiner mehr. Nach 50 Minuten tatsächlicher Spielzeit pfiff Referee Dean Woods aus England ab, unentschieden.
Gibt’s aber bei IKF-Spielen nicht mehr. Der goldene Treffer, Golden Goal, musste her, um dieses Spiel zu entscheiden. Zur Erinnerung: Jedes Team hat mind. einen Angriffsversuch.
Die erneute Anwurfauslosung ergab zugunsten der Chinesen: China wirft an.
China warf an, konnte aber in seinem Angriff keinen Treffer setzen. Der Ball ging in unseren Besitz über, war aber noch in der Hälfte Chinas. Grundregel 1 aus der Sicht der Chinesen jetzt: verteidigen, schon in eigener Hälfte, um vielleicht wieder in den Besitz des Balles zu kommen. Taten sie aber nicht, unser Team konnte problemlos den Ball in unsere Angriffshälfte spielen. Mindestens 25 Sekunden hatten wir Zeit, um die Entscheidung herbeizuführen.
Der Angriffsversuch der Chinesen war also gescheitert. Würden wir nun treffen, wären wir der Sieger.
Die Golden Goal Taktik war besprochen. Wir hatten Zeit, um auf den besten Augenblick zu warten. Nichts überhasten, „take your time“. Der Ball kreiste und das Team suchte die optimalste Wurfposition. Grundregel 2 aus der Sicht der Chinesen: Verteidigen und so nah an den Gegner, als wenn man Tango tanzen wollte. Taten sie aber nicht. Der Ball kommt zu Anna Orth. Anna sieht Dominic Düring, der sich just zu diesem Zeitpunkt so herrlich freigelaufen hatte, dass man ihn fast als „einsam“ hätte bezeichnen können. Die Bank sprang auf und hatte die Fäuste geballt.
Annas Pass war perfekt. Dominik hatte lange Zeit, über den geplanten Wurf nachzudenken. Die Chinesen waren zu Eis gefroren, als sie unseren Spieler so frei zum Wurf kommen sahen. Dominic sprang an.
Im Fernsehen würde die Regie jetzt auf „slow motion“, also Superzeitlupe schalten. Habe ich hier nicht, ich versuche es anders:
Dominic setzte zum Sprung an. Gäbe es eine Linie zwischen Bank und Korb, stand unser Spieler genau auf dieser Linie. Heißt: wir konnten die Flugbahn des Balles genau verfolgen. Dominic hebt vom Boden ab, der Ball sucht seine Bahn. Ich höre die ersten „Jaahhh“, der Ball ist im Zenit seiner Flugbahn, die Erdanziehung wird größer als die Kraft des Wurfes, der Ball senkt sich, ich sehe noch wie die blau-gelben Flecken des Balles in das Innere der gelben Plastikreuse verschwinden. Noch bevor der Ball den Luftraum innerhalb der Reuse verlassen hatte, rannte die Bank aus Feld, die Spieler hatten eh eine Traube gebildet, die hüpfend auf dem Feld umhertitschte. Nur die Chinesen glaubten immer noch nicht, was geschehen war:
Deutschland hatte im Golden Goal gewonnen.
Wir haben diesen Augenblick genossen. Denn: wir haben oft im Golden Goal verloren. Das fühlt sich nicht gut an. Heute war das anders. Ehrlich: wir haben verdient gewonnen, zollen unserem Gegner aber Respekt. Komplimente gab es hinterher auch von der VIP-Tribüne: „Das war heute eine perfekte Werbung für internationalen Spitzen-Korfball.“ (Rob Meijer, Präsident KNKV).
Bemerkenswert: wir sind in der Lage 27 Körbe in einem Spiel zu erzielen.
Wir sind glücklich, sind Gruppendritter des Pools F, genießen einen spielfreien Donnerstag und gehen am Freitag um 14.00 Uhr in der Lotto-Arena in die Qualifikation um das Finalspiel um Platz 5/6. Der Sieger spielt um 5/6, der Verlierer um 7/8.
Unser Gegner: Russland. Bei der EM im letzten Jahr verloren wir gegen Russland – im Golden Goal. Wie man das erfolgreich gewinnt, wissen wir jetzt ja.
Jochen Schittkowski, TRYP-Hotel, Antwerpen