31. Oktober 2015

WM-REPORT 2 * GER-HUN 21:17, erstes Spiel gewonnen

Nach vier Minuten wusste ich: dieses Spiel gewinnen wir. Eine Minute später, die Uhr zeigte: noch 20:00 Minuten zu spielen in Halbzeit eins, nahm Ungarn die erste Auszeit. Da gab es auf des Gegners Seite Einiges zu besprechen. Wir grinsten uns an. Wir lagen 5 : 0 in Front.
Wie lange haben wir auf diesen Augenblick gewartet? Das erste Spiel bei der WM in Belgien war lange Zeit noch so weit entfernt. Es begann für uns am Freitagmittag im Mannschaftshotel TRYP Antwerp um 12:45 beim Mittagessen. Den Vormittag nutzte das Team zum Training in der Sporthalle Linkeroever auf der westlichen Scheldeseite. „Lunchtime“, wir sprechen Englisch im Team, war für 12:45 terminiert. Ort: Konferenzraum im Hotel. Wir funktionierten den Raum zum Essraum um und besprachen unsere Ziele des Tages: „Das Spiel gegen Ungarn beginnt hier“, so Ruben Boode, Nationaltrainer, „ jeder muss sich schon jetzt mental auf dieses Eröffnungsspiel einstellen und innerlich vorbereiten. Es gilt, die gesamte Konzentration schon auf dieses Match am Abend zu fokussieren.“
Das taten wir und pünktlich um 18:00 Uhr standen wir zum Abspielen der Nationalhymnen in der Sporthalle Tielenhei in Tielen, einem der drei Spielorte zur diesjährigen Korfball-Weltmeisterschaft in Belgien.
Deutsches Team gegen Ungarn, 30.10.2015, WM in Belgien, Foto: Schittkowski
Zuvor ist von einer eigenartigen Situation zu berichten: Noch 15 Minuten bis zum Anpfiff. Die Startacht wärmt sich noch auf, macht Wurfübungen. Die Bank formiert sich, vor dem Physio: Eisbeutelbehälter und Behandlungstasche, daneben die Trinkflaschen für jeden Spieler. Kameraausrüstung, Dokubuch, „Time-out“ Tafeln sowie die Auswechsel-Formulare liegen bereit. Die „Bank“ nimmt Platz. Ein „I like it“, kommt von links herüber. Ruben Boode ist entspannt. Dies ist der Augenblick, auf den wir 8 Monate lang gewartet haben: das erste Spiel. Das Spiel, von dem so viel abhängt. Verlieren wir es, können wir schon nicht mehr Gruppenzweiter werden. Das ist unser Ziel, nämlich mindestens Achter dieser WM zu werden. Vor vier Jahren in China wurden wir Neunter. Das muss besser werden. Eine Last liegt auf diesem ersten Spiel. Der Druck ist hoch. Dennoch sind wir „angenehm aufgeregt entspannt“, dass es endlich losgeht.
Erster deutscher Angriff: Müller, Düring, Rudolph, Fuchs, erste deutsche Verteidigung: T. Orth, Heppekausen, Schulte, Heinzel.
Erster Korb durch Dominc Düring, das 2:0 durch Sven Müller. Gut. Dass dann eine Führung bis zum 7:0 folgte, überraschte uns.
Das ungarische Team spielte einen statischen Korfball, der von unserem Spielsystem vollkommen überfordert und überrascht war. Aber ehe der belgische Trainer der Ungarn das erkannt hatte, lagen wir schon „uneinholbar“ in Front. Nur intern; natürlich ist ein 7-Körbe-Vorsprung im Korfball einholbar, aber wir dachten schon hier im ersten Spiel der WM: diesen Sieg erledigen wir über die Restlaufzeit im Schlaf.
Unser Team spielte gut, nicht überragend, aber gut. Zur Pause stand es 11:5. Anna Schulte steuerte 4 Körbe bei. Auch gut. In der zweiten Hälfte der ersten Halbzeit war die Überlegenheit dann auch in den Köpfen unserer Spieler angekommen. Das war nicht gut. Der Spielfluss ging verloren, die Konzentration ließ ein wenig nach. Der belgische Coach stellte seine Spielweise um und schon begann unsere „Korfballtaktik“ ein wenig zu stottern. Die erste Auszeit vom Chefcoach signalisierte: Wir müssen aufpassen.
In Halbzeit 2 wechselten wir ein Fach komplett aus. Für Müller, Düring, Rudolph, Fuchs kamen nun Eckloff, Kloes, Holtkotte und Kierdorf.
Aber die „Entwicklung“ der letzten Halbzeitphase nahm ihren Lauf. Anstatt unsere Überlegenheit auszuspielen, begann eine Phase, in der wir zwei Körbe, die Ungarn aber drei warfen. Ungarn kam auf 14:9 heran, auch auf 17:12, auf 19:14. Liest sich deutlich, war es auch, aber warum mussten wir denn dieses Risiko gehen?
Statt unsere Überlegenheit der ersten 10 Minuten weiter zu beweisen, stellten die Ungarn um und begannen gegen unsere Spielweise zu arbeiten. Wir hätten darauf schneller antworten sollen und unserseits unsere Spielwiese optimieren sollen. Die ungarischen Spieler verfügten nicht über unsere Spieltaktik und Raffinesse, aber es gelang uns nicht, uns entscheidender abzusetzen.
Im Verlauf des Spiels kamen noch Schafföner Gnutt und A. Orth zum Einsatz. Auch Timon Orth gelangen 4 Körbe im Verlaufe des Spiels.
Als am Ende ein 21:17 für uns auf der Anzeigetafel stand, waren wir froh und erleichtert.
Denn: Dies ist ein Turnier. Wir haben unser Auftaktspiel gewonnen. Das ist ein guter Schritt auf dem Weg zu unserm Ziel. Wir haben alle Spieler eingesetzt. Wir haben unsere Punkte gesammelt.
Besonders: Wir waren zum Schluss nicht zufrieden. Das ist jetzt gerade das Besondere: zu erkennen, dass mehr Potential im Team steckt, als wir heute gezeigt haben, dass wir einfach mehr wollen.
Das Team ist hungrig. Morgen wollen wir gegen den Titelverteidiger unheimlich relaxt aufspielen, denn am Sonntag gilt es gegen die Tschechische Republik noch einmal alles abzurufen, was möglich ist. Tschechien spielte heute ein 41:16 gegen NL. Dabei sind die 16 Treffer gegen den Weltmeister zu beachten. Wir sind gegen Tschechien der Außenseiter. Das ist gut so.
Aber an Tschechien denkt heute noch niemand. Morgen wartet der Weltmeister auf uns. Um 18:00 stehen wir erneut in Tielen auf dem Platz. Heute in roten Shirts, morgen wechseln wir zu grau.
Und heute? Genießen wir den Sieg gegen Ungarn. Danke an die Fans auf der Tribüne, danke an die Glückwünsche, die uns erreicht haben. Wir sind erfolgreich ins Turnier gestartet.
Jochen Schittkowski, TRYP-Hotel Antwerp, 31.10.2015, 02:00