28. Oktober 2014

EKC Report 7 * Spiel gegen Russland mit Golden Goal verloren

also obliegt es mir, hier und jetzt das zu schreiben, was ich nicht schreiben wollte: „Wir haben verloren“. Gegen Russland im Golden Goal. Bei der EM in Maia.
Den Satz habe ich schon öfter geschrieben, aber er ist heute mit einer besonderen Note verbunden. Versuchen wir eine Analyse…
die deutsche Mannschaft in der Aufstellung vor dem Spiel gegen Russland, 28.10.14
Zunächst mal dies: alle haben die Niederlage „verarbeitet“. Nach dem Spiel gab es Tränen, Sprachlosigkeit und „Köpfe hängen lassen“. Manchmal habe ich auch bei anderen Turnieren Wutausbrüche gesehen oder Tritte gegen Bänke, Stühle und Taschen, oder das Wegpfeffern von Wasserflaschen. Heute nicht. So enthusiastisch, wie sich die Russen gefreut haben (als wenn sie Europameister geworden wären), so „ausgepumpt“ waren wir. Die Spieler waren zu nichts anderem mehr fähig, als traurig sein. Sie haben alles gegeben, was man in einem solchen Spiel geben muss. Darum ist auch die Enttäuschung so groß.
„Natürlich“, so höre ich schon viele reden, „kann man immer das Beste geben, aber verloren ist verloren.“ Das lasse ich heute nicht gelten. Es gilt diese Niederlage aus verschiedenen Perspektiven zu sehen.
Wir wollten Zweiter oder Dritter der Gruppe A werden. Dazu wäre mindestens ein Sieg gegen England oder Russland nötig gewesen. Unser Team hat das gegen England nicht geschafft. Aber wir waren gegen Russland heute gut vorbereitet. Der freie Tag in Porto und die Arbeit der Trainer waren erfolgreich. Die Harmonie stimmt. Das Team ist ein Team. Ich vermag nicht zu sagen, ob es einen Auswechselspieler gibt, der nicht zum Einsatz kam und darüber verärgert ist. Aber das ist der Mannschaftssport: Nur das Team gewinnt oder verliert, nie der Einzelne.
Im Einzelnen: Russland führt, wir gleichen aus. Gegen England bekamen zu Beginn wir drei Körbe in Folge und liefen hinterher. Hier nicht sofort, aber dann warfen die Russen vier in Folge und es stand 1:5. Bei einem Turnier mit verkürzter Spielzeit nicht optimal. Wir liefen wieder hinterher, aber diesmal mit besserer Moral. Zwei Mal Linda Schiller und Henning Eberhardt ununterbrochen und es stand 5:5. „Na“, dachten wir, „geht ja doch“. Und dann verwarfen die Russen einen Penalty.
Wir merkten, dass es heute ein anderes Spiel war, als gegen England. Wir kämpften um jeden Ball, die Spieler liefen, als wenn es kein „Morgen“ gäbe. Die Zielsetzungen aus den Analysen, den Teambesprechungen auch die kurze Ansprache von Ruben Boode in der Kabine und selbst die „Botschaften“ in der Halle fingen an, Früchte zu tragen.
Danach erhöhten noch einmal Linda Schiller und Anna Orth sogar auf 7:5, wir führten zum ersten Mal, in dem wir 6 Körbe hintereinander erzielen.
In dieser Phase werfen die Russen von Minute 6 bis 23 keinen Korb. Volle 17 Minuten lang treffen sie nicht. Wenn das nicht Überlegenheit ist.
Und dann passieren die kleinsten Kleinigkeiten, ein Abspielfehler hier, eine Unkonzentriertheit dort, und der Spielrythmus fängt an instabil zu werden. Die Russen werfen zwei und es steht 7 : 7 zur Halbzeit.
Es kam vor, dass der niederländische Linienrichter oft Dinge anders sah, als sein walisischer Referee-Kollege. Der folgt ihm aber nicht immer. Wir sahen uns mit der einen oder anderen Entscheidung konfrontiert, die nicht unsere Zustimmung fand. Der Linienrichter fing an, unsere Bank, auch unser Trainer zu ermahnen, „Ruhe“ zu bewahren.
In diesem Spiel war jeder Ballbesitz wichtig und wenn der Ball aus eigener Schuld verloren ging, ist das etwas ganz anderes, als wenn uns der Schiedsrichter „den Ball wegnimmt“. Heute kam es auf jeden Ballbesitz an.
Die zweite Hälfte war dramatisch. Russland vor, Deutschland vor, maximal 2 Körbe Differenz. Ich schaute auf die Uhr und dachte: „Egal, wenn wir am Ende vor sind, kann ich diese Spannung ertragen.“ 8 Minuten vor Schluss gingen die Russen zum 13 :11 in Führung, wir glichen durch Susanne Peuters und Dominc Dürung aus. Als unser Gegner erneut in Führung ging und Matthias Friedel erneut ausglich, rief Ruben Boode schon die Vorbereitung zum Golden Goal aus.
Nach 50 Minuten voller Spielzeit stand es also 14:14. Das Regelwerk will aber immer einen Gewinner sehen. In diesem Fall: das Spiel muss durch Golden Goal entschieden werden. Offizielle Regel: Jedes Team darf mind. einen Angriff ausführen. Inoffizielle Regel: Ballbesitz „get the ball!“, damit wir die Chancen haben.
Wir warfen an und kamen trotz einiger Würfe nicht zum Erfolg. Der Ball geht in die russische Hälfte und unsere Gegner werfen aus Distanz auf unseren Korb und treffen – zum ersten Mal in diesem Spiel mit einem langen Ball – in unseren Korb.
Wir brauchten etliche Minuten danach, um das zu begreifen. Wir müssen es akzeptieren. Das Turnier ist hier noch nicht zu Ende.
Ruben Boode:“ wir waren besser als Russland, wir hätten es verdient, aber wir haben es nicht bekommen. Wir hatten Chancen genug. Unsere Mannschaft hat nicht nur unsere Strategie zu 100 % verfolgt, sie hat sie umgesetzt und „gespielt““.
Ich gratulierte nach dem Spiel dem russischen Trainer Sergey Nizovskiy. Er sagte: „Ich bewundere den Teamspirit der deutschen Mannschaft.“
Schön zu hören, denn das war ja gerade die Zielsetzung „Wir gewinnen als Team“.
Wir haben also unser erstes Ziel, nämlich das Viertelfinale zu erreichen, nicht geschafft, weil wir leider jetzt nur Vierter der Gruppe A sind. Damit ist max. der neunte Platz dieser EM möglich. „Traurig zu sein“ gestatten wir noch unseren jungen Spielern. Wir müssen jetzt nach vorne schauen. Unser zweites Ziel ist jetzt der 10. Platz, der zur WM-Teilnahme im nächsten Jahr in Belgien berechtigt. Morgen spielen wir um 14.00 Uhr gegen die Slovakei in der ersten Qualifikationsrunde. Sie wird am Donnerstag mit der 2. Runde fortgesetzt, die dann darüber entscheidet, in welchem Platzierungsspiel wir spielen werden.
Wenn ihr dies lest, begleitet ihr uns, danke dafür.
Jochen Schittkowski Hotel Premium, Maia, Portugal